Beim Begriff Kristall denken die meisten Menschen wohl sofort an funkelnden Schmuck. Tatsächlich haben kristalline Materialien ein viel breiteres Anwendungsspektrum, zum Beispiel in der Lasertechnik, der Optik, der Hochenergiephysik, der Biomedizintechnik oder in Leuchtdioden. Jeder Anwendungsbereich benötigt dabei einen speziellen Materialtyp. Um festzustellen, ob sie die gewünschten Eigenschaften aufweisen, werden ständig neue kristalline Festkörper getestet.
Bisher ist es schwierig, kristalline Materialien im großen Rahmen zu testen und geeignete Materialien zu finden. Alle vorhandenen Methoden sind entweder besonders teuer oder besonders rechenintensiv. Forscher des L3S haben jetzt eine Methode gefunden, um durch maschinelles Lernen die Eigenschaften kristalliner Materialien vorhersagen zu können. Das Ergebnis wurde auch im NPJ Computational Materials veröffentlicht, einem Journal der renommierten Nature Publishing Group.
„Die veröffentlichte Arbeit spricht das wichtige Problem der spärlichen und undurchsichtigen Daten an, die die Haupthindernisse bei der schnellen und genauen Vorhersage der Eigenschaften von Kristallen darstellen“, so Niloy Ganguly, Gastprofessor am L3S und Leiter der Studie.
Die Bestimmung der elektronischen, magnetischen und elastischen Eigenschaften eines Kristalls ist oft zeitaufwändig und teuer, da sie umfangreiche Experimente erfordert. Ein solches Verfahren ist daher nicht geeignet, aus tausenden von Kristallen das für eine bestimmte Aufgabe am besten geeignete Material herauszufiltern. Die nächstbeste Methode besteht darin, statt expliziter Experimente die Eigenschaften mit angemessener Genauigkeit durch eine theoretische Methode wie die Dichtefunktionaltheorie, auch DFT genannt, zu berechnen. Diese Methode ist jedoch besonders rechenintensiv.
Um sowohl das Problem der kostspieligen Experimente als auch das der rechenintensiven theoretischen Schätzung zu lösen, werden Methoden des maschinellen Lernens (ML) zunehmend zu einer beliebten Alternative. Maschinelle Lernmethoden sind schnell und erfordern keine kostspieligen Berechnungen. Die Algorithmen des maschinellen Lernens sind jedoch datenintensiv, das heißt, sie müssen mit einer großen Menge Daten der Ausgangsmaterialien trainiert werden, die mit Eigenschaftskennzeichnungen versehen sind, um Eigenschaften neuer Kristalle genau vorhersagen zu können. Das Problem: Solche gekennzeichneten Daten sind nicht ausreichend vorhanden. Darüber hinaus handelt es sich bei den verfügbaren Daten nicht um experimentell abgeleitete, sondern um theoretisch berechnete Eigenschaften, so dass das Training dieser Daten zu Verzerrungen und Ungenauigkeiten im System führen kann. Mit diesen Unzulänglichkeiten im Hinterkopf wurde CrysXPP entwickelt, ein maschinelles Lernsystem, das eine schnelle Vorhersage verschiedener Materialeigenschaften mit hoher Präzision ermöglicht.
Während die mit Eigenschaften versehenen Daten knapp sind, sind die einfachen strukturellen Informationen der Kristalle in Hülle und Fülle vorhanden. Das macht sich CrysXPP zunutze. Denn für die spezifischen Eigenschaften des Kristalls sind auch die einzelnen Atome und ihre Verflechtung in der Kristallstruktur verantwortlich. CrysXPP wandelt solche Kristall-3D-Strukturinformationen in 2D-Graphen um und erlernt zunächst deren strukturelle Eigenschaften. Dann wird es mit der geringen Menge an verfügbaren Daten mit Eigenschaftskennzeichnungen trainiert. Die erste Stufe hilft bei der Erfassung aller wichtigen strukturellen und chemischen Informationen, so dass nur eine kleine Menge an markierten Daten für die Eigenschaftsvorhersage ausreicht, um eine genaue Vorhersage zu treffen. Die Leistung ist so gut, dass sie den Nachteil, mit ungenauen Datensätzen trainiert zu werden, ausgleichen kann.
Ein weiterer Mangel von ML-Modellen ist die Interpretierbarkeit, das heißt, sie können im Allgemeinen keine Gründe für die Manifestation bestimmter kristalliner Eigenschaften liefern, was ihre Verwendung in der Praxis unattraktiv und wenig überzeugend macht. CrysXPP enthält einen Selektor, der festlegt, welche Merkmale der Atome für die Ausprägung einer bestimmten Eigenschaft des Kristalls verantwortlich sind.
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