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Vielseitige Zusammenarbeit: L3S und Volkswagen
KI für Mobilität und Produktion
Aus den Büroräumen des L3S in der fünfzehnten Etage reicht der Blick bis zum Volkswagenwerk im Norden Hannovers. Die räumliche Nähe ist nicht der einzige Grund, warum VW Nutzfahrzeuge und das Forschungszentrum schon lange zusammenarbeiten. Der Automobilhersteller und das L3S ergänzen sich bestens. „Die Silicon Valley hat Stanford. Wir haben das L3S mit hervorragenden Top-Forschern im Bereich KI und Maschinelles Lernen. Diesen Vorteil nutzen wir mit den gemeinsamen Forschungsprojekten. Warum sollten die Leute in Stanford cleverer sein als in Hannover?“, sagt Dr.-Ing. Michael Nolting, Leiter des Bereichs für Digital Services & Data Analytics bei Volkswagen Nutzfahrzeuge. Aus der Kooperation sind unter anderem die Projekte CampaNeo, d-E-mand und SmashHit hervorgegangen. VW agiert meist als Datensammler, das L3S erstellt mit diesen Daten Analysen und Vorhersagen. Ein weiteres Thema in den Projekten ist die Nachverfolgbarkeit der Datenverarbeitung, damit das jeweilige Vorhaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entspricht.
Kampagnen für die Datenerhebung
Im Projekt CampaNeo arbeiten die Partner am Aufbau einer Plattform, die privaten und öffentlichen Institutionen ermöglicht, kampagnenbasiert Fahrzeugdaten in Echtzeit zu erheben und zu analysieren. Auf Basis der Kampagnendaten wollen VW und L3S außerdem intelligente Anwendungsfälle umsetzen.
Eine Kampagne kann zum Beispiel das Ziel haben, Schlaglöcher zu erkennen. Autofahrer können sich solchen Kampagnen anschließen und ihre Autodaten teilen. Für VW lautet dann die Aufgabe, ein Interface für die Kommunikation mit den Fahrern zu erstellen, die Daten zu sammeln und über einen Broker an die Datenanalyse-Infrastruktur des L3S zu schicken. Dort nutzen Wissenschaftler die Daten für Anwendungen und Analysen, verbessern die Datenqualität und erschließen neue Anwendungen, etwa die Unfallvorhersage. Kelvin Sopnan von VW arbeitet gemeinsam mit L3S-Wissenschaftler Rajjat Dadwal daran, die Unfallvorhersage noch genauer zu machen - mithilfe verschiedener Datenattribute wie Beschleunigungs- und Bremssignalen, aber auch von Ampeln, dem Straßennetz und verkehrsrelevanten Orten wie Schulen oder Haltestellen.
Wie sollen Ladestationen verteilt werden?
Voraussetzung für die Elektro-Mobilitätswende ist der Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur und datenbasierter Dienste für alle Arten von Elektrofahrzeugen. Im Projekt d-E-mand werden Lösungen entwickelt, die den Bedarf an mobiler und stationärer Ladeinfrastruktur systematisch vorhersagen und decken können - insbesondere bei Belastungsspitzen aufgrund von Großveranstaltungen und Massenbewegungen wie dem Ferienbeginn. d-E-mand project, solutions are being developed that can systematically predict and meet the demand for mobile and stationary charging infrastructure – especially during peak loads due to major events and mass movements such as the start of the vacations.
Zu den Aufgaben von VW gehört das Sammeln der notwendigen Daten mithilfe von Fahrzeugen, die mit Sensoren wie Kameras oder Lidars ausgestattet sind. Anhand der gewonnenen Daten forscht VW mit Unterstützung des L3S an Lösungen, die den Bedarf an Ladestationen prognostizieren können.
Wie Ladestationen in Ballungsräumen optimal platziert werden, erforschen Leonie Frantzen und Nicolas Tempelmeier von VW gemeinsam mit Ashutosh Sao vom L3S. Dabei maximieren sie das Angebot an Ladeinfrastruktur und minimieren die Warte-, Fahr- und Ladezeiten bei gleichzeitiger Einhaltung der Budgetvorgaben. Dies erreichen die Wissenschaftler mit einem neuartigen Ansatz des Deep-Reinforcement-Learning.
Die Spur der Daten
Im Projekt SmashHit arbeiten die Partner daran, den Austausch von Daten sicherer und vertrauenswürdiger zu machen. Gehandelt werden sowohl persönliche als auch industrielle Daten - letztere auch branchenübergreifend. Die Projektpartner wollen ein System entwickeln, das die rechtlichen Vorgaben der DSGVO einhält und mit neuentwickelten Sicherheits- und Datenschutzmechanismen die Vertraulichkeit der Daten und das Vertrauen der Nutzer sicherstellen soll.
Auch in SmashHit agiert VW als Datenlieferant, der Daten beispielsweise an einen Versicherungspartner verschicken will. Dies soll DSGVO-konform erfolgen und für die Nutzer, zum Beispiel Autofahrer, transparent und nachvollziehbar sein. Das L3S entwickelt dafür eine Infrastruktur, die eine lückenlose Rückverfolgung der Daten ermöglicht (end-to-end traceability). Datenlieferanten und -verarbeiter können mithilfe der Datenverfolgung die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben überprüfen. Dateneigentümer können ihre Datenschutzbedenken ausräumen, indem sie die Spur ihrer Daten über eine zentrale Plattform abrufen und verfolgen können.
Nils Henke von VW und Stefan Schestakov vom L3S erforschen außerdem, wie datenschutzrechtlich unbedenkliche Daten generiert werden können. So soll anhand eines Datensatzes eine zweite, ähnliche Version erstellt werden, die den Datenschutz des Originals gewährleistet und bedenkenlos Dritten zur Verfügung gestellt werden kann. Der Ansatz soll den Zugriff auf solche Daten erleichtern, die aus Datenschutzgründen bisher nur schwer geteilt werden konnten.
KI in der Fahrzeugproduktion
VW und das L3S arbeiten nicht nur in Mobilitätsfragen zusammen. Auch auf dem Gebiet der Produktion wird gemeinsam geforscht. Im Projekt IIP-Ecosphere entwickeln die Partner einen Demonstrator, der mittels KI werkübergreifend Taktzeiten optimieren soll. Der Hintergrund: In der industriellen Großserienfertigung sind Störungen mit hohen Kosten verbunden. Bislang konzentriert sich die Forschung darauf, stillstandbedingte Ausfallzeiten zu vermeiden, etwa durch vorausschauende Wartung. Vernachlässigt werden dabei die ganz kleinen Verzögerungen in einzelnen Prozessschritten. Solche Mikrostörungen werden über die gesamte Prozesskette immer weiter verstärkt. Daher können zunächst minimale und vom Mitarbeiter kaum wahrnehmbare Verzögerungen am Ende hohe Zusatzkosten verursachen.
Ein interdisziplinäres Team von Volkswagen Nutzfahrzeuge, dem L3S und dem Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen der Leibniz Universität Hannover entwickelt für diese Herausforderung eine innovative, KI-basierte Lösung: ein intelligentes Fertigungsanalysesystem, das Prozesse überwacht und Taktzeiten optimiert, indem Ursache-Wirkung-Zusammenhänge von Mikrostörungen ersichtlich werden. Volkswagen Nutzfahrzeuge stellt Rohdaten und Domänenwissen zur Verfügung und arbeitet aktuell an einer Erweiterung der Datenerfassung. Am L3S entwickelt Jeff Reimer die Methodik zur automatischen Dateninterpretation und Mustererkennung. Außerdem evaluiert er unterschiedliche Deep-Learning-Architekturen.
Zwar ist es heute schon möglich, Betriebsdaten so zu erfassen und auszuwerten, dass auch kleinste Abweichungen und dessen Folgen im Fertigungsprozess identifiziert werden können. Allerdings ist hierfür eine aufwendige, manuelle Erstellung und Pflege von Regelwerken notwendig. Der Einsatz einer innovativen selbstlernenden Prozessdatenkennzeichnung mit Hilfe von Clustering-Methoden, kombiniert mit intelligenter Muster- und Anomalieerkennung in Zeitreihen, soll diesen Aufwand in Zukunft überflüssig machen. Vorteil der Methodik: Die Adaption auf geänderte Prozesse und die Übertragbarkeit auf andere Werke.
Erprobt werden die Methodenbausteine zunächst bei Volkswagen Nutzfahrzeuge am Standort Hannover. Später soll die Gesamtmethode auf weitere Werke übertragen werden. Wenn das klappt, ist der letzte Schritt die Generalisierbarkeit der Methodik, um die Demonstratorlösung auch für andere Anwendungsfälle zu ermöglichen. Über die Einbindung in das KI-Ökosystem von IIP-Ecosphere, wie die IIP-Plattform und den KI-Accelerator, sollen auch andere Anwender einen niedrigschwelligen Zugang zu dieser KI-Lösung erhalten.
Kontakt
Stefan Schestakov
Stefan Schestakov ist Doktorand am L3S und Projektleiter für SmashHit. Er forscht in den Bereichen Mobilität, Trajektorien und spatio-temporale Vorhersagen.
Jeff Reimer
Jeff Reimer ist Doktorand am L3S und arbeitet innerhalb von IIP-Ecosphere am VWN-Demonstrator. Seine Forschung befasst sich mit den Themen Produktion, Anomaliedetektion und Zeitreihendaten.