Interview mit Jörg Ludwig
Digitale Bildung heißt auch Digitalisierung der Schulen, gerade in Zeiten von Corona. Wie geht es dort voran? Dr. Ivana Marenzi, Projektleiterin am L3S im Bereich Digitale Bildung, hat nachgefragt bei Jörg Ludwig, Geschäftsführer des Schulplattformanbieters IServ GmbH in Braunschweig.
Herr Ludwig, wie ist IServ entstanden und wie hat sich die Firma in den letzten Jahren entwickelt?
Gestartet sind wir vor 20 Jahren als Schülerprojekt an der Hoffmann-von-Fallersleben-Schule in Braunschweig. Ein sehr engagierter Lehrer hatte sich in einer Arbeitsgemeinschaft zum Ziel gesetzt, die Schule zu digitalisieren. Wir haben relativ klein angefangen: mit E-Mail, Diskussionsforen, Chat und Dateiaustausch. 2001 haben wir mit unserer Idee bei „Jugend forscht“ gewonnen. Über Mundpropaganda kamen andere Schulen aus der Region auf uns zu. Unser großer Vorteil war, dass IServ funktionierte und praxisgerecht die Anforderungen der Schulen erfüllt. So haben wir ohne echtes Marketing recht schnell 500 Schulen aus Niedersachsen mit IServ ausgestattet. Osnabrück und Braunschweig waren die ersten großen Städte.
Aktuell arbeiten 35 Entwickler bei uns in Braunschweig. Vor einem Jahr waren wir insgesamt etwa 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Zahl hat sich bis heute verdoppelt und wird bis Ende des Jahres weiter auf 160 Personen wachsen. Wir stellen aktuell jede Woche neue Leute ein, natürlich auch in der Software-Entwicklung.
Welche Funktionalitäten bietet IServ?
Wir verstehen uns als digitale Schulplattform und haben viele unterschiedliche Funktionen integriert. Für die Kommunikation erhalten Schüler und Lehrer eine eigene private E-Mail-Adresse. Diesen Kreis kann man um Eltern und andere Menschen mit Verbindung zur Schule erweitern. Seit einigen Jahren verfügt der IServ auch über einen Messenger; quasi als datenschutzkonforme Alternative zu WhatsApp. Vor einem Jahr machte das Homeschooling die Entwicklung eines Videokonferenzmoduls notwendig. Das haben wir auf Basis der Open-Source-Software BigBlueButton entwickelt und den Schulen kostenlos zur Verfügung gestellt. Der Bedarf ist vor allem in Zeiten von Distanzunterricht gewaltig. Aktuell verzeichnen wir täglich 1,3 Millionen Nutzungsstunden und insgesamt mehr als 2 Millionen Nutzer auf der Plattform.
Kern der Schulorganisation sind der Gruppenkalender für die Schul- und Klausurtermine, die Vertretungsplanung und die Stundenplanung für alle Klassen. Was die Netzwerk-Administration betrifft: Unsere Server stehen vor Ort in den Schulen. Die meisten Schulen verfügen nach wie vor über eine schlechte Internet-Verbindung und auf diese Weise sind die Daten so nah wie möglich bei den Schülern. Die Server werden von uns administriert. Wir verwalten auch den Internet-Zugang, das WLAN oder beispielsweise die Drucker. Wir können Office- und Lernprogramme installieren und auch automatisch updaten.
Seit der Covid-19-Pandemie findet auch viel Unterricht über unsere Schulplattform statt. Wir unterstützen dabei das Thema Pädagogik über ein Aufgabenmodul oder über Office-Tools für kollaboratives Arbeiten. Auch Inhalte Dritter für Lernmaterialien können wir einbinden. Lernmanagementsysteme wie Moodle oder auch die Niedersächsische Bildungscloud (NBC) gehören dazu.
Wie kontaktieren Sie die Schulen? Warum entscheiden sich die Schulen für IServ?
Das ist tatsächlich sehr aufwendig. Jede Schule hat ihre individuellen Ansprüche an eine Schulplattform. Deshalb haben wir mittlerweile zehn Mitarbeiter im Vertrieb, die in ganz Deutschland unterwegs sind und die Wünsche und Sorgen der einzelnen Schulen aufnehmen. Wenn eine Schule von uns überzeugt ist, macht sie über Mundpropaganda auch Werbung für uns.
Von 40.000 Schulen in Deutschland versorgen wir derzeit fast 4.800, da gibt es also noch Luft nach oben. Unser Kernland ist Niedersachsen, die meisten neuen Kunden kommen aktuell aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.
Bundesweite Verteilung der Schulen, die iServ verwenden.
Der Schutz von Schülerdaten ist ein wichtiges Thema. Wie unterstützen Sie Schulen dabei?
Datenschutz ist einer unserer Grundpfeiler. Wir haben uns schon im Jahr 2013 vom Landesdatenschutzbeauftragten überprüfen lassen. Dass die Server normalerweise in den Schulen stehen, macht es für uns natürlich einfacher. Alternativ stehen sie hier in Deutschland in einem Rechenzentrum. Betreiber ist aber immer die Schule.
Was sind Ihre Erfahrungen mit der digitalen Lehre? Was haben Sie aus dem Homeschooling für die Zeit nach der Pandemie gelernt?
Ich denke, wir haben gelernt, dass die Lehrerinnen und Lehrer sehr offen und bereit sind, sich mit Digitalisierung zu beschäftigen. Ich glaube, jetzt sind alle ins kalte Wasser gesprungen. Sie haben es ausprobiert und dabei ist naturgemäß auch mal etwas schiefgegangen. Aber das gehört dazu, wenn man neue Wege beschreitet. Jetzt haben viele die Vorteile schätzen gelernt. Allein die Videokonferenzen haben wir letztes Jahr noch nicht in diesem Ausmaß genutzt. Jetzt sind wir daran gewöhnt, halten sie jeden Tag und es bringt auch viele Vorteile. Wichtig für die Nachhaltigkeit der Digitalisierung ist die Ausstattung der Schulen. Die brauchen schnelles Internet, WLAN und Endgeräte für die Lehrkräfte und für die Schüler. Es gibt großartige Lerntools oder interaktive Inhalte von anderen Online-Anbietern, die man bei der Digitalisierung einbinden kann. Ich denke, die meisten Leute haben jetzt gemerkt, was möglich ist, und da wird noch sehr viel passieren in den nächsten Jahren.
Gibt es auch Nachteile im Distanzunterricht?
Definitiv! Homeschooling ist ganz klar eine Notlösung. Ich bin sehr froh, wenn alle wieder in die Schule gehen können. 80 Prozent des Unterrichts besteht nun mal aus dem persönlichen Miteinander, bei dem man als Gruppe zusammen arbeitet und miteinander diskutiert. Das ist online einfach schwieriger. Es gibt auch soziale Probleme. Den Haushalten fehlt es daheim zuweilen noch an der passenden technischen Infrastruktur, dem Platz oder einfach der notwendigen Ruhe, wenn auch die Eltern im Homeoffice sind.
Jörg Ludwig, herzlichen Dank für das Gespräch!
Jörg Ludwig ist Gründer und Geschäftsführer der IServ GmbH in Braunschweig. Der 38-Jährige gilt als Pionier auf dem Gebiet der Schuldigitalisierung in Deutschland und kann dafür unter anderem auf eine 20 Jahre währende Erfahrung zurückgreifen. Schon zu seiner Schulzeit entwickelte der Softwareentwickler im Rahmen eines Schulprojektes die erste Version des Schulservers IServ, der sich seitdem zu einer umfangreichen digitalen Schulplattform weiterentwickelt hat.