MediaFutures − Daten-Innovationshub für die Medien-Wertschöpfungskette
Mit Kunst und Daten gegen Desinformation
Welche Ideen haben Startups und Künstler, um mit den verfügbaren riesigen Datenmengen gegen Desinformation vorzugehen? Möglichst unter Einbindung der Bürger, insbesondere aus Gruppen mit wenig gesellschaftlichem Einfluss? Der europäische Daten-Innovationshub MediaFutures hat in den vergangenen drei Jahren in drei offenen Ausschreibungen insgesamt 51 Startups und kleine und mittlere Unternehmen sowie 43 Künstler mit einem Gesamtbetrag von 2,5 Millionen Euro bei der Umsetzung ihrer Ideen unterstützt. Die ausgewählten Bewerber nahmen an einem sechsmonatigen Begleitprogramm teil, das finanzielle Förderung, Mentoring und Fortbildung, etwa zu ethischen und rechtlichen Fragen, umfasste. Das Ergebnis sind digitale Produkte, Dienstleistungen und Kunstwerke, die Daten auf innovative und integrative Weise nutzen, um die Medienkompetenz der Bürger zu stärken und Desinformation entgegenzuwirken. Alle MediaFutures-Projekte sind auf der Website des Projekts zu finden. Die Binaire stellt drei prämierte Projekte beispielhaft vor: Soft Evidence, Edit Wars und The Oracle Network.
MediaFutures war Teil des S+T+ARTS-Ökosystems, einer Initiative der Europäischen Kommission zur Förderung von Allianzen aus Wissenschaft, Technologie und Kunst.
BEST STARTUP und BEST ARTIST in der Kategorie STARTUP MEETS ARTIST (Zweite Wettbewerbsrunde)
Das Oracle Network
Das Oracle Network befasst sich auf anregende Weise mit den Themen Fehl- und Desinformation. Zum Beispiel hat das Team in der rumänischen Stadt Cluj Napoca urbane Augmented-Reality-Kunst verteilt; und zwar an Orten, die bestimmte Minderheiten repräsentieren. Die Augmented Reality (AR) illustriert Desinformationen über diese Gruppen. Um den nächsten AR-Punkt zu erreichen, müssen die Nutzer jeweils ein Rätsel lösen. So gelangen die Teilnehmer zur zentralen Ausstellung, einem Raum mit interaktiven Kunstinstallationen der künstlichen Intelligenz, die über Desinformation aufklären. Die urbane Kunst richtet sich an ein breites Publikum.
Das Team hinter dem Oracle Network will Fehl- und Desinformation im Internet mit Kreativität bekämpfen. Das Ziel ist ein innovatives System, das die Auswirkungen von Fake News auf die öffentliche Meinung verringert und Künstler, Programmierer, Journalisten und die breite Öffentlichkeit einbezieht.
Um Menschen, die für Fake News empfänglich sind, besser zu erreichen, hat das Oracle Network zudem eine Augmented-Reality-App entwickelt. Die Nutzer jagen Fake News in Gestalt von Mindbugs und werden schrittweise und anhand von Beispielen über Desinformation und ihre Funktionsweise aufgeklärt.
Künstler haben die Mindbugs, die Fake News repräsentieren, für die AR-App des Oracle Network gestaltet.
BEST ARTISTS in der Kategorie ARTISTS FOR MEDIA (Zweite Wettbewerbsrunde)
Edit Wars
Edit Wars ist ein interaktives Kunstprojekt über die Manipulation des Massenbewusstseins in Russland. Das Projekt befasst sich mit aggressiven Narrativen in den von der Regierung kontrollierten Medien, die die öffentliche Wahrnehmung von der realen Situation abkoppeln. Edit Wars kombiniert Forschung mit Kunst: Um aussagekräftige Ergebnisse für die künstlerische Darstellung zu erzielen, setzt das Team quantitative und qualitative Methoden der Datenanalyse ein. Im künstlerischen Teil des Projekts werden die Ergebnisse in ein multimediales interaktives Medium übertragen.
Der Einfluss von Informationen sei heutzutage kaum zu unterschätzen: als Waffe, als Werkzeug der Manipulation, als Druckmittel - auch für Regierungszwecke. So sieht es (nicht nur) das Team von Edit Wars. Autoritäre Staaten nehmen direkt und indirekt Einfluss auf die öffentliche Meinung, um ihr Informationsmonopol sicherzustellen. Zu ihrem Instrumentenkasten gehören die Ausweisung regierungskritischer Personen, das Verbot unabhängiger Medien und die Sperrung von Webseiten. Mit Gesetzen, die jede Information, die nicht aus einer offiziellen Quelle stammt, als „Falschmeldung“ (strafrechtlich) ahndet, werden kritische Stimmen mundtot gemacht.
Was passiert, wenn ein solches staatliches Informationsmonopol herrscht? Was erleben die Bürger in der Echokammer der Propaganda? Wie sehr können die russischen regierungsnahen Medien die Realität des Krieges zwischen Russland und der Ukraine verzerren? Das Projekt Edit Wars versucht, diese Fragen auf datengestützte und künstlerische Weise zu beantworten, indem es zeigt, wie sich destruktive Propagandanarrative entwickeln. Edit Wars basiert auf der Analyse von Schlagzeilen in den russischsprachigen Online-Medien und deckt den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2022 ab. Dabei wurden mehr als zwei Millionen Artikel untersucht, Themen und Erwähnungen herausgefiltert und identifiziert, die für den Untersuchungsgegenstand relevant sind. Die Ergebnisse des Projekts sind in Form einer interaktiven Installation sowie einer Website mit einer Forschungspräsentation und interaktiven Elementen dargestellt.
Edit Wars hat zwischen Januar und Juli 2022 250.000 Schlagzeilen in russischen Online-Medien ausgewertet. Die Ergebnisse dienen auch als Grundlage für die künstlerische Verwertung, um auf die Manipulation der öffentlichen Meinung in Russland aufmerksam zu machen.
BEST ARTISTS in der Kategorie ARTISTS FOR MEDIA (Erste Wettbewerbsrunde)
Soft Evidence
Soft Evidence von Ania Catherine und Dejha Ti ist eine Reihe langsamer Szenen, die nie stattgefunden haben − Filme, von Maschinen manipuliert, die auf Lügen trainiert sind. Soft Evidence verwendet Deepfakes als Kunst − normalerweise eine hochpolitische Form, hier jedoch bewusst unpolitisch, um einen neutralen Boden für Gespräche über audiovisuelle Manipulation zu schaffen. Die Emotionen und Fragen, die die Serie hervorruft, führen die Betrachter in neue Richtungen und geben ihnen Werkzeuge und Strategien an die Hand, wie sie sich in diesem digitalen Terrain bewegen können.
Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz, Computer-Vision, maschinellem Lernen und Deep Learning haben die Künstlerinnen synthetische Medienvignetten (Deepfakes) geschaffen, die keine Spur von audiovisueller Manipulation aufweisen. Soft Evidence befasst sich mit zwei wichtigen Aspekten des Deepfake-Problems: Erstens der Fähigkeit, jemanden darzustellen, der etwas tut, was er nie getan hat, der sich an einem Ort aufhält, an dem er nie gewesen ist, oder der etwas sagt, was er nie gesagt hat. Und zweitens der Einführung der plausiblen Bestreitbarkeit, die es Menschen ermöglicht, sich der Verantwortung für Handlungen zu entziehen, die auf Fotos oder Videos festgehalten wurden.
Soft Evidence trägt zur globalen Diskussion über das ungleiche Privileg bei, „Wahrheiten“ zu erfinden. Das immer komplizierter werdende Feld der „visuellen Evidenz“ zeigt, dass Bevölkerungsgruppen am Rande der Gesellschaft, die am weitesten von den finanziellen, technologischen und politischen Machtzentren entfernt sind, zunehmend verwundbar sind.
Szenen aus Soft Evidence, die nie stattgefunden haben. Synthetisch erstellt als Deepfakes.
Kontakt
Alexandra Garatzogianni
L3S-Mitarbeiterin Alexandra Garatzogianni war während der Projektlaufzeit von September 2020 bis August 2023 Koordinatorin von MediaFutures. Zehn Organisationen aus sechs europäischen Ländern waren an dem Projekt beteiligt.