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Forschung für eine vertrauenswürdige Medizin nach Maß
Patientendaten und Künstliche Intelligenz
Jeder Mensch ist individuell. Doch in der Medizin gibt es oft die gleiche Behandlung für alle. Was in den meisten Fällen gut funktioniert, ist aber nicht für jeden die beste Lösung. Patienten mit einer bestimmten Erkrankung reagieren oft unterschiedlich auf die gleiche Behandlung. Während einige die Therapie gut vertragen, leiden andere unter starken Nebenwirkungen oder die Behandlung schlägt gar nicht erst an. Personalisierte Medizin verspricht präzisere Diagnosen, individuellere Therapien und auf einzelne Patientengruppen abgestimmte Medikation. Dafür müssen möglichst viele Daten und Faktoren von möglichst vielen Erkrankten berücksichtigt werden. Mit künstlicher Intelligenz können diese riesigen Datenmengen besser verarbeitet und analysiert werden.
Seit dem Sommer 2020 fördert das Bundesforschungsministerium am L3S ein internationales Zukunftslabor für künstliche Intelligenz, das seinen Schwerpunkt auf die personalisierte Medizin legt: das Leibniz KI-Labor. Internationale Spitzenforscher aus Australien, Neuseeland, Indien, Griechenland, Großbritannien und den USA besuchen das KI-Labor in Hannover und forschen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Leibniz Universität Hannover, der Medizinischen Hochschule Hannover und aus europäischen Partnerinstituten disziplinübergreifend in den Bereichen der Informatik, Bioinformatik, Medizin, Humangenetik und Data Science.
„Im Mittelpunkt der Forschung stehen neue Ansätze und Algorithmen für intelligente, zuverlässige und verantwortungsbewusste Systeme“, sagt der Leiter des Leibniz KI-Labors Prof. Dr. Wolfgang Nejdl. Das interdisziplinäre Forschungsteam integriert eine Vielzahl von Ansätzen, die für KI relevant sind. Intelligenz wird ermöglicht durch Wissensgraphen, Deep Learning, Sensorfusion und Szeneninterpretation, probabilistische Verfahren und Informationsextraktion aus dem Web. „Reproduzierbarkeit und Robustheit der Verfahren sind ebenso wichtig wie Privacy by Design. Schließlich sollen Ergebnisse intelligenter Systeme erklärbar, fair und zurechenbar sein,“ so Nejdl.
Vertrauenswürdige KI
Methoden der künstlichen Intelligenz haben sich in vielen Bereichen als äußerst erfolgreich erwiesen: etwa beim maschinellen Sehen, der Verarbeitung natürlicher Sprache oder der Signalverarbeitung. Für die personalisierte Medizin fehlt diesen Methoden jedoch ein grundlegender Bestandteil: die Verknüpfung von Ursache und Wirkung. „Die Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung sind von zentraler Bedeutung dafür, wie wir Menschen die Welt um uns herum wahrnehmen, wie wir handeln und wie wir auf Veränderungen in unserer Umgebung reagieren“, sagt Dr. Sandipan Sikdar, Junior-Professor im Leibniz KI-Labor. „Da die derzeitigen KI-Methoden wenig Verständnis für Ursache-Wirkungs-Beziehungen haben, sind sie unbeständig, können nicht auf neue Bereiche übertragen werden, verallgemeinern nur von einem Datenpunkt zum nächsten und können ihre Handlungen den Nutzern nicht erklären. Im Leibniz KI-Labor konzentrieren wir uns auf die Entwicklung kausaler KI-Methoden, die nicht nur zu präziseren Diagnosen, individuelleren Therapien und Medikamenten führen, sondern auch robuster, verallgemeinerbar und erklärbar sind.“
Gerade im medizinischen Bereich muss KI vertrauenswürdig und erklärbar sein. Bereits die Entwicklung intelligenter Systeme sollte also auf ethischen Grundlagen aufgebaut sein. Im Leibniz KI-Labor befassen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daher auch mit Fragen wie: Was genau bedeutet eigentlich vertrauenswürdig, wenn man bedenkt, dass Vertrauenswürdigkeit ein Konzept ist, das wir Menschen verleihen - und nicht Systemen? Wer ist verantwortlich, wenn beim Einsatz eines KI-Produktes ein Schaden entsteht: der Hersteller, die Entwickler, die Kliniker oder ein einzelner Akteur? Auf wessen ethische Urteile sollte man sich verlassen und warum? „Unsere Arbeit zielt darauf ab, diese Fragen in Partnerschaft mit Entwicklern und Klinikern mit einem patientenzentrierten Fokus zu untersuchen“, sagt Dr. Cameron Pierson, Co-Koordinator des Leibniz KI-Labors.
Der Entwurf für eine EU-Verordnung zu KI stützt sich beispielsweise auf die Ethik-Leitlinien für vertrauenswürdige KI, die eine von der Europäischen Kommission eingesetzte unabhängige hochrangige Expertengruppe (High-Level Expert Group, kurz HLEG) für künstliche Intelligenz aufgestellt hat. Demzufolge sollten KI-Systeme, wenn sie vertrauenswürdig sein sollen, auch mit ethischen Normen vereinbar sein. Dafür sind Prozesse und ethische Prüfungen erforderlich, die solide und skalierbar sind. Im Rahmen des Leibniz KI-Labors wurde daher auch ein Trustworthy AI Lab ins Leben gerufen, das verschiedene Projekte des L3S bündelt, um gemeinsam an vertrauenswürdiger KI zu forschen. Ein zentraler Aspekt ist beispielsweise die Z-Inspection®-Methode. Dieses Verfahren hat sich als zuverlässige und robuste Methode etabliert, um ethische Fragen und Spannungen von KI-gestützten Systemen für den Einsatz im medizinischen Bereich zu bewerten.
Auch in Veranstaltungen werden Fragen zu Themen wie Ethik und Kausalität diskutiert: Summer Schools, Workshops und Symposien schaffen einen Raum für disziplinübergreifenden Austausch. Auch 2023 sind solche Veranstaltungen wieder geplant: unter anderem ein Symposium im Mai zu Recht und Ethik in KI und Biomedizin sowie ein weiteres im September zu Schnittpunkten zwischen KI und Medizin.
Anwendungsfälle für KI
Im Leibniz KI-Labor konzentrieren sich Informatiker und Mediziner gemeinsam auf fünf Anwendungsgebiete für die personalisierte Medizin, um mit KI die Diagnose und Behandlung von Krankheiten beispielhaft zu verbessern:
- Brustkrebs
- Akute lymphatische Leukämie bei Kindern
- Neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson
- Covid-19
- lebensbedrohliche Situationen in der Kinderintensivmedizin
Welche Aufgabe der Hannover Unified Biobank der MHH dabei zukommt, beschreibt deren Leiter Prof. Dr. Thomas Illig so: „Wir stellen für die KI-Anwendungen präzise und qualitativ hochwertige Datensätze bereit. Dies betrifft zum einen das Zusammenführen von klinischen und persönlichen Patientendaten, die teilweise aus verschiedenen Einrichtungen und von verschiedenen Zeitpunkten stammen. Zum anderen unterstützen wir die Datenvorverarbeitung, um die vielschichtigen Datensätze für maschinelles Lernen nutzbar zu machen.“ Auch beim Thema Datenschutz spielt die Biobank eine wichtige Rolle, da sie die Funktion eines Gatekeepers bei der Zusammenstellung und Herausgabe von anonymisierten Datensätzen einnimmt. Darüber hinaus unterstützt die Biobank beim Design der Kohorten, der Auswertestrategie und der bioinformatischen Interpretation der Daten.
Auch in anderen Projekten, die zum Teil mit dem Leibniz KI-Labor assoziiert sind, arbeiten Wissenschaftler des L3S gemeinsam mit Kollegen der MHH und weiteren medizinischen Forschungseinrichtungen an der Entwicklung verlässlicher, intelligenter und verantwortungsvoller Systeme für die personalisierte Medizin. Sie setzen Methoden des maschinellen Lernens ein, um etwa den Erfolg einer Cochlear-Implantat-OP vorherzusagen, um Infektionen an Zahnimplantaten zu bekämpfen oder um das Norovirus besser zu verstehen.
Kontakt
Wolfgang Nejdl
Wolfgang Nejdl ist geschäftsführender Direktor des L3S und Leiter des Leibniz KI-Labors.
Thomas Illig
L3S-Mitglied Thomas Illig ist Leiter der Hannover Unified Biobank und Principal Investigator des Leibniz KI-Labors.