Es ist aus organisationssoziologischer Sicht sinnvoll, die Weiterentwicklung von IT-Systemen partizipativ anzulegen. Das Bild erstellte Stable Diffusion XL zu dem Prompt: "Diverse business team listening to mature grey haired project leader, manager woman, discussing collaboration, IT reports, view into a large room, PC, laptops, smartphones, warm lighting, soft colors, fine details, wide angle, professional photography, bokeh, natural lighting, shot on dslr, sharp focus".
Lebendige Infrastrukturen
Warum Partizipation nicht für Pilotprojekte reserviert sein sollte
Bei zahlreichen IT-Projekten gehört es mittlerweile zum Standard, künftige Nutzer am IT-Design zu beteiligen. Dabei gilt: Je früher, desto besser. Denn die größten Vorteile der Partizipation werden in den frühen Designstadien erreicht, wenn das durch IT zu lösende Problem rekonstruiert wird. Aber eine derart tiefgreifende Beteiligung bleibt bislang auf Pilotphasen beschränkt. Für die Weiterentwicklung von Systemen ist Partizipation nicht mehr oder nur eingeschränkt vorgesehen. So werden vielleicht noch Tickets zur Fehlermeldung ausgewertet, aber das war es dann meistens auch schon. Dahinter steht oft die Annahme, dass einmal partizipativ entwickelte Lösungen skalierbar ausgerollt und auf andere Bereiche übertragen werden können. Die Praxis zeigt allerdings etwas anderes: Zahlreiche Herausforderungen von IT-Systemen treten erst nach dem Rollout in Erscheinung. Sie lassen sich auch nur bedingt vorhersehen. IT-Systeme und -Infrastrukturen bleiben nämlich auch nach ihrer Entwicklung ‚lebendig‘. Es sieht also ganz danach aus, dass für nachhaltige Digitalisierungsprojekte eine kontinuierliche partizipative Entwicklung notwendig ist. L3S-Mitglied Prof. Dr. Stefanie Büchner und Dr. Irina Zakharova, die sich an der Leibniz Universität Hannover mit der Soziologie der Digitalisierung befassen, nehmen die Sache genauer in den Blick.
„Aus organisationssoziologischer Perspektive spricht vieles dafür, auch die Weiterentwicklung von IT-Systemen partizipativ anzulegen“, sagt Büchner. So beschränken sich organisatorische Anpassungen von Strategien und Prozessen nicht auf Pilotlaufzeiten. Im Gegenteil: Oft brechen mit dem Auslaufen von Projekten personelle, zeitliche und finanzielle Ressourcen weg, die eine partizipative Entwicklung erst ermöglicht haben. „Um Pilotfriedhöfe zu vermeiden, ist es notwendig, realistische Wege und Ressourcen für eine nachhaltig gelingende Digitalisierung zu erörtern und mit den Beteiligten zu diskutieren.“
Ein weiterer Grund: Entgegen einer weit verbreiteten Annahme benötigt Digitalisierung nach dem Rollout oft erheblich mehr Ressourcen, als sie ersetzt. Datenerschließung, Datenpflege, Prozessanpassung und Schulung sind nur einige der Aufgaben, die bei der Integration in Organisationsprozesse anfallen. Und so, wie der Bedarf an qualitativ hochwertigen Daten steigt, gewinnt auch die Datenarbeit an Bedeutung. Während etwa in der Gesundheitsbranche medizinische Dokumentationsassistenten diese Arbeit übernehmen, wird Datenarbeit in vielen anderen Bereichen als Zusatzaufgabe eingeführt, die gleichsam nebenbei zu erledigen ist. In Zeiten des Fachkräftemangels muss eine nachhaltige Digitalisierung aber auch die Arbeitnehmer überzeugen. Wer als Arbeitgeber darauf verzichtet, läuft Gefahr, dass der Nachwuchs in attraktivere Arbeitsfelder abwandert, wo die Datenarbeit als Tätigkeit anerkannt ist.
Büchner und Zakharova sehen in der Partizipation Möglichkeiten, Datenarbeit realistisch sichtbar zu machen, anzuerkennen und in eine Aushandlung über ihre Optimierbarkeit einzutreten. „Hierzu braucht es auch ein offeneres Clustering an Weiterentwicklungsbedarfen, etwa über Entwicklungsworkshops, reguläre Fachgruppen oder Mentoring-Netzwerke, in denen Entwicklungsbedarfe offen und dezentral eingeholt werden,“ sagt Büchner.
Die beiden Wissenschaftlerinnen empfehlen, gerade bei angespannter Ressourcenlage, bei zurückliegenden problematischen Implementationserfahrungen oder bei der Arbeit mit vulnerablen Gruppen wie Klienten von Sozialverwaltungen, auf sozialwissenschaftliche Expertise zurückzugreifen. Fazit: Eine nachhaltige Digitalisierung mit lebendigen Infrastrukturen sollte nicht nur grün sein, sondern auch partizipativ.
Kontakt
Prof. Dr. Stefanie Büchner
L3S-Mitglied Stefanie Büchner ist Professorin am Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover. Dort leitet sie den Arbeitsbereich Soziologie der Digitalisierung.
Dr. Irina Zakharova
Irina Zakharova forscht als Postdoc am Arbeitsbereich Soziologie der Digitalisierung des Instituts für Soziologie der Leibniz Universität Hannover.