L3S-Direktor Wolfgang Nejdl ist Co-Autor eines neuen Whitepapers der Plattform Lernende Systeme, das anhand von Praxisbeispielen die Herausforderungen und Potenziale von künstlicher Intelligenz (KI) bei der Arzneimittelentwicklung aufzeigt. Das L3S hat mit dem Leibniz KI-Labor und dem Niedersächsischen Zentrum für KI und kausale Methoden in der Medizin (CAIMed) einen Forschungsschwerpunkt auf dieses Gebiet gelegt.
KI kann die Entwicklung von Arzneimitteln beschleunigen und die personalisierte Medizin in der Breite fördern. So können bessere und individualisierte Medikamente kostengünstiger auf den Markt gebracht werden. Voraussetzung ist jedoch, dass neben Wirkstoffdaten auch Patientendaten in ausreichender Qualität für die Forschung zur Verfügung stehen und ein rechtssicherer regulatorischer Rahmen geschaffen wird.
Ein Mediziner verschreibt durchschnittlich pro Arztbesuch ein Medikament. Arzneimittel sind der drittgrößte Ausgabenposten im deutschen Gesundheitswesen. Ihre Entwicklung wird jedoch immer teurer und langwieriger. Bis ein Medikament auf den Markt kommt, vergehen rund zwölf Jahre, die Gesamtkosten liegen bei durchschnittlich 2,8 Milliarden US-Dollar. Die Gründe sind vor allem immer komplexere Produkte und Studiendesigns, steigende Anforderungen an Dokumentation und Sicherheit während der Entwicklung sowie die aufwändige Rekrutierung von Teilnehmern für klinische Studien. In vielen Fällen, zum Beispiel bei Antibiotika, ist die Entwicklung neuer Wirkstoffe nicht mehr rentabel.
Personalisierte Krebstherapien und innovative Wirkstoffe
Der Einsatz von KI gestaltet den Prozess der Arzneimittelentwicklung effizienter und bietet die Möglichkeit, jahrelange Arbeit und kostspielige Investitionen einzusparen, heißt es im Whitepaper „Arzneimittel mit KI entwickeln“. Künstliche Intelligenz analysiert systematisch riesige Datenmengen sowie umfangreiches Wissen und wertet diese aus. Auf diese Weise lassen sich geeignete Wirkstoffziele und -kandidaten in kurzer Zeit finden, bessere Vorhersagen zu Nebenwirkungen der Arzneimittel treffen und die chemische Synthese, die Herstellung des Wirkstoffs, optimieren. Bei der Auswahl und Monitoring von Probanden für klinische Studien und der Zulassung kann KI unterstützen. Die KI-basierte Datenanalyse ermöglicht die Entwicklung personalisierter Therapien etwa zur Behandlung von Krebs, die auf das individuelle Krankheitsbild der betroffenen Person abgestimmt sind.
Die Autorinnen und Autoren des Whitepapers benennen auch die Herausforderungen auf dem Weg zu einer KI-gestützten Arzneimittelforschung. Für den Einsatz von KI müssen große Mengen an qualitativ hochwertigen Wirkstoffdaten zur Verfügung stehen. Dies setzt jedoch die Bereitschaft der forschenden Unternehmen voraus, ihre Daten zu teilen. Lücken bestehen insbesondere in der Datenbasis zur Humanbiologie, beispielsweise zu Krankheitsmechanismen und Arzneimittelwirkungen. Es besteht die Möglichkeit, diese Lücke mit qualitativ hochwertigen Daten der Bevölkerung zu füllen. Ein Mittel der Datenbeschaffung stellt die elektronische Patientenakte dar. Die KI-Analyse der Patientendaten erlaubt etwa Aussagen zur Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Arzneimitteln sowie personalisierte Behandlungsempfehlungen. Aktuell gibt es sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene Vorhaben zur Erhöhung der Datenverfügbarkeit, etwa in Form des Verordnungsentwurfs zum European Health Data Space (EHDS) sowie des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes (GDNG) in Deutschland. Damit sollen Gesundheitsdaten für Forschungszwecke auch der Industrie zugänglich gemacht werden. Die Expertinnen und Experten der Plattform Lernende Systeme empfehlen, die erhöhte Datenverfügbarkeit nicht durch regulatorische Einschränkungen der KI-gestützten Forschung zu deckeln.
Zulassung braucht verbindliche Standards und Transparenz
Der Einsatz von KI in der Wirkstoffentwicklung muss auch bei der Zulassung und Erstattung von Arzneimitteln berücksichtigt werden. Die Ergebnisse der KI-Datenanalyse müssen nachvollziehbar und KI-basierte Aussagen zu medizinischen Aspekten eindeutig belegbar sein. Darüber hinaus nutzt KI auch synthetisch generierte Daten. Es bedarf verbindlicher Standards für die Prüfung und Gültigkeit von KI-basierten Daten.
Die Anwendung von KI-Methoden in der Arzneimittelentwicklung bedeutet auch, dass mehr Zulassungsanträge für neue Medikamente in kürzerer Zeit bei den Behörden eingereicht werden. Aber auch auf Seiten der Zulassungsbehörden könne KI dazu beitragen, Prozesse zu beschleunigen, um mit dem erhöhten Entwicklungstempo Schritt zu halten, heißt es in dem Whitepaper.
Über das Whitepaper
Das Whitepaper „Arzneimittel mit KI entwickeln: Von der Idee bis zur Zulassung. Anwendungen, Potenziale und Herausforderungen“ verfassten Mitglieder der Arbeitsgruppe Gesundheit, Medizintechnik, Pflege der Plattform Lernende Systeme, darunter L3S-Direktor Prof. Dr. Wolfgang Nejdl. Es steht zum kostenfreien Download zur Verfügung.